Von Peter Szynka
Als ich vor Jahren auf FOCO (Forum für Community Organizing) traf, ahnte ich ja noch nicht, was auf mich zukommen würde. Im Studium lernte ich Gemeinwesenarbeit und musste Gemeinwesenarbeit als „Prinzip“ begreifen. Das ist bis heute für viele logisch. Erfahrungen in erfolgreichen Gemeinwesenarbeitsprojekten zu sammeln war schon schwieriger. Aus Prinzip versuchte ich deshalb, meine spätere Tätigkeit in der Obdachlosenhilfe weiterhin als Arbeit im und am Gemeinwesen zu sehen. Dies änderte sich auf den ersten Community Organizing Trainings, die FOCO im Burkardthaus in Gelnhausen organisierte. Vor dem ersten Training machten sich die amerikanischen Trainer in den verschiedenen deutschen Gemeinwesenarbeitsprojekten kundig und überraschten uns mit der Botschaft, dass nach amerikanischem Vertändnis „Organizing“ und „Sozialarbeit“ zwei grundverschiedene Sachen sind. Man kann sogar fast sagen, dass sich Community Organizing und Sozialarbeit gegenseitig ausschliessen. Die eiserne Regel „Tue nie etwas für andere was sie selbst tun können“ wird in der sozialen Arbeit nicht stringent durchgehalten. Zwar ist Sozialarbeit immer auch Hilfe zur Selbsthilfe, bleibt aber per definition Hilfe, Dienstleistung, Service für Menschen, die sich selbst nicht helfen können. Community Organizing ist dagegen eher mit politischer Erwachsenenbildung im Rahmen eines tiefen und überzeugten Demokratieverständnisses vergleichbar. Der Mangel an Sozialer Arbeit oder mangelhafter Service kann zwar Gegenstand einer Organisationskampagne sein, eine Community Organization kann sich auch entscheiden, selbst Träger und Anbieter von Dienstleistungen zu werden. Von diesem Zeitpunkt an ist sie allerdinge keine Community Organization mehr sondern Träger sozialer Dienstleistungen. Viele Sozialen Dienste sind auf diese Weise aus Organisationskampagnen entstanden. Durch die Unterscheidung und Abgrenzung gegen Soziale Arbeit wurde Community Organizing für mich wieder zu einem Set von Regeln und Methoden, die lehr- und lernbar waren. Das Prinzip Gemeinwesenarbeit konnte einer Praxis weichen und nach und nach konnten kleine Erfolgen auf methodisches Handeln zurückgeführt werden.
Neben dieser Begriffsklärung gibt es auch mehrere Versuche, die Begriffe Community Organizing und Community Developement gegeneinander abzugrenzen und miteinander in Beziehung zu setzen. Als wichtigen Versuch betrachte ich die Protokolle der 11. Konferenz des ICSW (Internationale Konferenz für Soziale Wohlfahrt) 1962 in Rio de Janeiro. In diesen Protokollen wird deutlich, dass diese Begriffe zumindest in der internationalen Diskussion in die Erfahrung der Entwicklungshilfe eingebettet sind. Zwischen den nach Unabhängigkeit strebenden Drittweltstaaten einerseits und dem Weltfrieden verpflichteten Industrieländern andererseits werden nach dem Zweiten Weltkrieg postkoloniale Ausgleichsstrategien sichtbar, die in der aktuellen Globalisierungsdebatte eine neue Bedeutung gewinnen. „Native leaders“ sollten im Zusammenhang mit dem Rückzug der Kolonialmächte administrative Aufgaben übernehmen und so zur weiteren Entwicklung ihrer Länder beitragen. Community Organizing wurde damit Teil einer Entwicklungsstrategie, die sich Community Developement nannte. Heftige Diskussionen gab es darum, ob diese Strategie auch für Systemprobleme industrialisierter Staaten Anwendung finden könnte, also etwa bei Problemen des Strukturwandels und der Anpassung an weltwirtschaftliche Zwänge. Bei dieser Diskussion wurden zumindest in Rio de Janeiro die Hinweise der Amerikanischen Delegation ausgeblendet, die auf die speziell nordamerikanischen Wurzeln des Organizing verwiesen. Hiernach war Community Organizing ein konstitutives Element urbaner Demokratie immer schon gewesen. In dieser Sichtweise ist Organizing gleichzeitig ein Motor für Unabhängigkeit und Entwicklung sowie ein Mittel um Stillstand, Erstarrung und neue Abhängigkeiten zu vermeiden. Auf diese Weise ist Organizing in Nordamerika Teil der demokratischen Kultur geworden und wird durch vielerlei Stiftungen und zahlreiches Engagement gestützt.
Eine wichtige Begriffsklärung ging auch von der Midwest Academy in Chicago aus, die von FOCO im Herbst 1995 besucht wurde. Die Midwest Academy ist ein wichtiges Training Institut für Organizer und Kim Bobo, Mitautorin eines Klassikers auf diesem Gebiet hörte von unseren Übertragungsversuchen. Sie entwarf ein Flipchart mit dem Titel „Gute Werke“. Sie ordnete dabei Sozialarbeit, die Unterstützung von Selbsthilfegruppen, Entwicklungsarbeit (Community Developement), Anwaltschaftliches Handeln und Organizing auf einem Kontinuum an. An einem Ende war Sozialarbeit plaziert und am anderen Ende Organizing. Alles andere stellt eine Mischform dar. Was ist aber – nach Kim Bobo – der entscheidende Unterschied? Sozialarbeit akzeptiert die gegebene Machtverteilung so wie sie ist und Organizing verändert die gegebene Machtverteilung. Dabei ist nicht an den gewaltsamen Umsturz eines Systems gedacht, sondern an die Veränderung von Mehrheitsverhältnissen und Machtverteilungen unter den Bedingungen der Demokratie. Es geht um Beteiligung von Menschen am demokratischen Prozess, die bisher ausgeschlossen sind. Macht ist dabei ein Schlüsselbegriff.
Bleibt zu prüfen ob der Begriff „Community“ in Deutschland richtig verstanden werden kann. In der letzten Zeit hört man von Kommunitariern oder Kommunitaristen. Eine Fülle von soziologischer, ökonomischer und philosophischer Literatur aus dem angelsächsischen Raum wird in die Kommunitarismus-Debatte eingebracht. Kommunitarier geben der Sorge um die Gemeinschaft und die Pflicht des Einzelnen, sich für die Gemeinschaft einzusetzen einen hohen Stellenwert. Die Gegenpositionen nehmen die neoliberalen Autoren ein. Diese befürchten, von der Gemeinschaft bevormundet und eingeschränkt zu werden. Sind Community Organizer Kommunitarier? Der Begriff der Community oder Gemeinschaft, wie wir ihn übersetzen und gebrauchen war Teil des Konzeptes von Community Organizing, lange bevor es die wichtige Kommunitarismus-Debatte gab. Im Begriff „Community“ schwingt im Amerikanischen immer eine Bedeutung mit, die auf das Eingewandertsein der Menschen verweist, die aus irgendeiner Gegend dieser Welt gekommen sind, in der es Unterdrückung und Armut gab. Es gibt schwarze und weiße Communities, es gibt hispanische und asiatische Communities. Organizing, und insbesondere das Broad-based Organizing, wie es in der Nachfolge von Saul Alinsky auch Leo Penta vertritt, ist darauf angelegt die unsichtbaren Grenzen dieser Communities in Richtung auf eine gemeinsame, große Gemeinschaft zu überwinden, die in lebendiger Demokratie ihre Angelegenheiten regelt. Die jüngste Organisation, die im Oktober 1997 mit Hilfe der IAF (Industrial Area Foundation) gegründet wurde, trägt den Namen „United Power for Action & Justice. Sie wird bisher von 275 Institutionen in Chicago getragen, die aus ganz unterschiedlichen religiösen Gemeinschaften (Lutheraner, Katholiken Juden und Moslems) und gewerkschaftlichen Bereichen (öffentlicher Dienst, Erziehung) stammen. Bei der Eröffnungsveranstaltung am 19.10.1997 waren ca. 10.000 Menschen anwesend. Die „United Power for Action & Justice“ wird für die nächsten Jahre ein wichtiger politischer Faktor in Chicago sein.
Was macht FOCO in Deutschland?
FOCO ist ein Zusammenschluss von Menschen, die an Community Organizing interessiert sind und dazu beitragen wollen, Bürgerorganisationen zu helfen, vor Ort Macht im Sinne einer demokratischen Gesellschaft zu erlangen und benachteiligende Strukturen zu verändern. Zu diesem Zweck sind verschiedene Publikationen erstellt worden, ein regelmässiger Erfahrungsaustausch und Fortbildungsveranstaltungen werden organisiert. Daneben werden von allen Beteiligten immer wieder Einzelgespräche geführt und Leute gesucht, die sich und andere für diese Praxis interessieren, begeistern und begeistern lassen. Interessierten Gruppen stehen in begrenztem Umfang Diskussionspartner, Berater und Trainer zur Verfügung. Seit Anfang 1997 gibt es einen Kooperationsvertrag mit der IAF.