Der nachfolgende Beitrag beschreibt Erfahrungen zum Thema Bürgerbeteiligung im Rahmen des Bund-Länder-Programms „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt“. In diesem vom Berliner Bundesbauministerium aufgelegten Programm wird die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger an den Entwicklungsprozessen in ihren Stadtteilen ja quasi per Förderrichtlinie von ministerieller Seite her offiziell verordnet. Die konkrete Umsetzung der Fördervorgabe und ebenso die Wahl der Beteiligungsverfahren obliegt dann den lokalen Akteuren vor Ort. Insofern erheben die nachfolgenden Ausführungen keineswegs den Anspruch auf Allgemeingültigkeit; im Gegenteil, sie beschreiben explizit die Vorgehensweise im Programmgebiet „Leipziger Osten“, dem Modellstandort im Programm „Soziale Stadt“ für den Freistaat Sachsen. Vielleicht entdeckt aber dennoch die Eine oder der Andere Parallelentwicklungen zu ihrem/seinem eigenen lokalen Wirkungsgebiet. Den Autor würde dies wenig wundern.
Ebenso wenig wird der Anspruch verfolgt, die äußerst komplexe Organisationsstruktur des mit dem Förderprogramm verfolgten Stadtgebietsentwicklungsprozesses in allen Einzelheiten (Lenkungs- und Steuerungsgruppen, Kernprojekte, Projektteamtreffen usw.), insbesondere auf der Verwaltungsseite, zu beschreiben, sondern vielmehr geht es um die Frage der konkreten Umsetzung der Bürgerbeteiligung in diesem Verfahren. Hintergrund der Ausführungen ist eine mittlerweile mehr als zweijährige Begleitung der Entwicklungen im Leipziger Osten als externer Beobachter bzw. Gutachter, als interessierter Bürger und Hochschullehrer sowie als Projektverantwortlicher einer studentischen Untersuchung zur Verwirklichung der Bürgerbeteiligung im Programmgebiet.
Das Programmgebiet
Der Leipziger Osten besteht aus fünf historisch gewachsenen Ortsteilen mit zwar jeweils spezifischen Charakteristika und Problemlagen, doch zwölf Jahre nach der „Wende“ kennzeichnen das Programmgebiet insgesamt insbesondere folgende Faktoren: ein hoher Wohnungsleerstand (vor allem im Bestand der Gründerzeithäuser, während die „Platte“ städtischerseits weitgehend mit Sozialhilfebezieherinnen und -beziehern belegt wurde), zahlreiche Brachflächen und Bauruinen, eine hohe Lärmbelastung durch den durchfließenden Straßenverkehr, eine hohe Arbeitslosenquote sowie eine entsprechend hohe Zahl von Personen, die auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind, und schließlich ein für Ostdeutschland hoher Ausländeranteil von ca. 5 Prozent der Bevölkerung. Aus der einstigen das Programmgebiet durchziehenden „Flaniermeile“ Eisenbahnstraße ist heute ein Straßenzug geworden, in dem viele Ladenlokale entweder leer stehen oder aber „Billigläden“ das Erscheinungsbild nachhaltig prägen. Dies alles sind Faktoren, die bereits zu einer Konzentration benachteiligter Bevölkerungsgruppen in bestimmten Bereichen des Wohngebietes führten (es gibt aber auch andere, gehobenere Quartiere im Programmgebiet!), die dem Stadtbezirk auf kommunaler Ebene eine höchste Entwicklungspriorität zuwiesen und die schließlich zu seiner exponierten Aufnahme in das Förderprogramm „Soziale Stadt“ führten.
Der Leipziger Osten grenzt mit seinen inneren Rändern unmittelbar an den Innenstadtbereich und der Beginn der Eisenbahnstraße ist vom heutigen Einkaufsmagnet Bahnhof aus in ca. 5 Minuten fußläufig erreichbar; an den Außenrändern erfolgt zumindest teilweise ein nahtloser Übergang in den angrenzenden Grüngartenbereich. Das Programmgebiet umfasst in Gänze eine flächenmäßige Ausdehnung von 340 ha, in der um die Jahrtausendwende etwa 27.000 Menschen lebten. Trotz ehemaliger „Flaniermeile“ ist der Leipziger Osten von je her ein traditionelles Arbeiterwohngebiet, dessen Bewohnerinnen und Bewohner auch zu DDR-Zeiten in Folge des überwiegenden Westwindes unter den Rauchschwaden der weiter westlich gelegenen Industrieanlagen zu leiden hatten. Das derzeit zentrale städtebauliche Problem ist – wie eingangs bereits erwähnt – nicht etwa die „konsolidierte Platte“ (wie lange?), sondern der leerstehende und vor sich hin verrottende Gründerzeithausbestand, dessen flächendeckende Modernisierung und Sanierung bei einer Überkapazität von aktuell ca. 60.000 leerstehenden Wohneinheiten im Stadtgebiet auf absehbare Zeit hin nicht zur Debatte steht. Hinzu kommt eine extrem hohe Verkehrsbelastung durch mehrere stark frequentierte, zuweilen recht enge Ausfallstraßen sowie eine äußerst geringe Kaufkraft bei weiten Teilen der ortsansässigen Bevölkerung.
Das Beteiligungsverfahren
Als zentrales Instrumentarium zur Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an der geplanten Stadtgebietsentwicklung gilt – ähnlich wie das schon seit Jahren existierende „Forum Grünau“ zur größten Plattenbausiedlung in Leipzig – das „Forum Leipziger Osten“. Hier sollen unter externer Moderation (zwei Organisations-/ Unternehmensberatungsbüros) und „Geschäftsführung“ (Originalzitat) der beiden Stadtteilmanager/innen (Ingenieure in freiberuflicher Tätigkeit bzw. in Anstellung beim kommunalen Amt für Stadtererneuerung und Wohnungsbauförderung) alle Fäden zusammen laufen, die verschiedenen Vorhaben ko-ordiniert, Arbeitsabsprachen unter den einzelnen Beteiligten getroffen sowie Empfehlungen für die Verwaltung ausgearbeitet werden. Das Forum tagt dreimal jährlich, jeweils an einem Freitagnachmittag von 14.30 – 18.30 Uhr und ist für jedermann zugänglich. An der ersten Forumssitzung Ende November 2000 – ca. sechs Wochen nach der lokalen Auftaktveranstaltung des Förderprogramms „Soziale Stadt“ – nahmen etwa 120 Personen teil. Die Teilnehmerzahl hat sich seitdem zwischen 80 und 100 Personen eingependelt.
Zur Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger in den nun von Amtsseite her initiierten Stadtgebietsentwicklungsprozess wurden gleich auf der ersten Forumssitzung insgesamt zehn Themen-Arbeitsgruppen gebildet. Diese sollten z.B. zu folgenden Inhalten arbeiten: „Wirtschaft und Arbeit“, „Kinder und Jugendliche“ oder „Leben und soziales Miteinander“. Alle Arbeitsgruppen werden durch hierfür eigens bestellte und auf Honorarbasis entlohnte, sogenannte „Bürgermoderatorinnen/-moderatoren“ organisiert und geleitet. Die Federführung hierfür liegt ebenfalls bei dem für die Moderation des „Forums Leipziger Osten“ zuständigen Organisationsberatungsbüro.
Bereits bei dem ersten Zwischenbericht zu den bisherigen Aktivitäten der Themen-Arbeitsgruppen auf dem „2. Forum Leipziger Osten“ im Januar 2001 wurde von allen Bürgermoderatorinnen und -moderatoren, ebenso einvernehmlich wie hilflos, die gänzlich fehlende bzw. allenfalls höchst unzureichende Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger in den fremd initiierten Arbeitsgruppen konstatiert. Dort traf man sich in der Regel stattdessen im schon allseits vertrauten Personenkreis sozialer Fachlichkeit. Diese Situation änderte sich auch in der Folgezeit nicht und auf Grund von mangelnder Mitarbeit örtlicher Akteure wurden schließlich mehrere Themen-Arbeitsgruppen inhaltlich sowie organisatorisch zusammen gefasst.
Die Foren selbst sind zwar nach wie vor gut besucht, doch stellt sich hier stets die Frage, von wem? An Hand der jeweils ausgelegten Teilnehmerlisten konnte in etwa folgendes Bild, zumindest für die jüngsten Forumssitzungen, ermittelt werden. Etwa die Hälfte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommt aus der Verwaltung bzw. aus der für das Programmgebiet örtlich zuständigen Kommunalpolitik (im Laufe der Zeit haben immer mehr Stadträte aus dem Leipziger Osten das Forum als Möglichkeit der eigenen Plattform/Präsentation erkannt). Weitere etwa 30 Prozent sind im Programmgebiet in irgendeiner Form gegen Bezahlung Beschäftigte (z.B. Architektinnen/Architekten, Sozialarbeiterinnen/Sozialarbeiter, Bürgermoderatorinnen/-moderatoren, aber auch Ladenbesitzerinnen/Ladenbesitzer bzw. allgemein Gewerbetreibende). Verbleiben noch ca. 20 Prozent Bürgerinnen und Bürger, die nichts anderes auszeichnet, als dass sie im Leipziger Osten wohnen. Bei einer Teilnehmerzahl von 80 Personen wären dies 16 Menschen (von 27.000 Einwohnerinnen und Einwohnern im Stadtbezirk).
Inhaltlich sind die Foren stets klar vorstrukturiert, meistens mit Programmpunkten überladen und sie stehen immer unter einer themenspezifischen Schwerpunktsetzung (z.B. Wirtschaft, Öffentlichkeitsarbeit/Image, Sauberkeit und Ordnung). Der Raum für Diskussionen ist in der Regel äußerst knapp bemessen und welche Bürgerin bzw. welcher Bürger getraut sich schon nach oft stundenlangen Beiträgen vermeintlicher Expertinnen und Experten noch selber das Wort zu ergreifen? Auch die Ergebnisse der Themen-Arbeitsgruppen werden im Forum meist von den Bürgermoderatorinnen und -moderatoren vorgestellt. So ist es nicht verwunderlich, dass sich von Seiten des Publikums vordringlich im Stadtbezirk ansässige Ladenbesitzerinnen und -besitzer zu Wort melden und zwar immer dann, wenn sie konkret ihre eigenen Interessen als Geschäftsleute im Programmgebiet gefährdet sehen. Als die Stadtverwaltung zum Beispiel versuchte, mit Hilfe kommunaler Fördermittel dem Leerstand vieler Ladenlokale in der Eisenbahnstraße entgegen zu wirken, machte man sofort gegen den in diesem Fall vermuteten weiteren Zuzug ausländischer Ladenbetreiberinnen und -betreiber in den Stadtbezirk öffentlich und unverhehlt mit eindeutigem Gedankengut Stimmung.
Als jüngster, mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut untauglicher Versuch, mehr Bürgerstimmen im „Forum Leipziger Osten“ zum Gehör zu verhelfen, ist noch die kürzlich beschlossene Einrichtung einer sogenannten „Speakers’s Corner“ zu erwähnen. Eigentlich gar keine so schlechte Sache, aber warum müssen dies ausgerechnet die letzten 15 Minuten am Ende eines insgesamt vierstündigen Sitzungsmarathons sein, wo doch jede/r der noch verbliebenen Anwesenden endlich ins Wochenende will?
„Die können sollen, müssen wollen dürfen!“
– Graffito-Berlin, Alexanderplatz, ges. v. W. Häcker
Die studentische Untersuchung
Nach etwa einem Jahr der externen Beobachtung der Entwicklungen im Leipziger Osten – in diesem Zeitraum wurde der Autor von verschiedenen Akteuren vor Ort immer wieder einmal punktuell zum Thema Bürgerbeteiligung angesprochen (z.B. wie funktioniert denn eine „aktivierende Befragung“?) – reifte der Entschluss, im Rahmen eines studentischen Projektes stärker in den Prozess der Bürgerbeteiligung einzusteigen. Nach einer Bestandserhebung zum bislang realisierten Ausmaß der Partizipation der Bürgerinnen und Bürger sollten mit dem Projekt die hierfür hinderlichen Faktoren herausgearbeitet und vor diesem Hintergrund Vorschläge zur einer stärkeren Einbeziehung der Bewohnerinnen und Bewohner in den Stadtgebietsentwicklungsprozess entwickelt werden. Nachdem der Projektgedanke im Sommer vergangenen Jahres mit dem Organisationsberatungsbüro sowie dem Stadtteilmanagement konkretisiert und abgesprochen werden konnte, startete das studentische Projekt zur „Bürgerbeteiligung im Leipziger Osten“ unter den oben genannten Zielvorgaben dann im Oktober 2001 (unter dem enormen Zeitdruck bis Ende Januar 2002 bereits wieder abgeschlossen zu sein).
Zur Bestandserhebung wurden in den ersten Wochen der Projektarbeit zahlreiche Gespräche mit den verschiedensten Akteuren vor Ort geführt (Stadtteilmanagement, Quartiersmanagement [im Gegensatz zum zentralen Stadtteilmanagement nur für einen Ortsteil innerhalb des Programmgebietes zuständig und schon früher installiert], Organisationsberatungsbüro, Bürgermoderation, soziale Träger im Programmgebiet) sowie bei Treffen der Themen-Arbeitsgruppen hospitiert. Zwei im Projekt mitarbeitende Studentinnen waren zudem als Bürgerin bzw. als ehemalige Praktikantin in den Stadtgebietsentwicklungsprozess im Leipziger Osten persönlich involviert. Das knappe, aber dennoch äußerst aufschlussreiche Ergebnis all dieser Gespräche: Der Grad der Bürgerbeteiligung ist in der Tat äußerst gering ausgeprägt und lässt daher sehr zu wünschen übrig. Die von Anfang an gehegte Vermutung wurde mit der Untersuchung also evident. Gravierender noch ist jedoch die Feststellung, dass sich für diese Aufgabenstellung und prioritäre Förderungsvoraussetzung in dem millionenschweren Programmgebiet (Fördervolumen ca. 250 Mio. Euro/Jahr) niemand zuständig fühlt. Das Stadtteilmanagement begreift sich als stadtbezirkweites Koordinierungsgremium sowie primär als Bindeglied in die Verwaltung und besaß selbst eineinhalb Jahre nach Programmstart noch nicht einmal eine kontinuierliche Anlaufstelle im Leipziger Osten. Bezeichnend für den Stellenwert, der der Bürgerbeteiligung insgesamt vom Stadtteilmanagement zugesprochen wird, ist auch die Tatsache, dass alle Bemühungen in dieser Richtung in der Vergangenheit stets als studentische Praktika oder im Rahmen von für diese Aufgabe völlig unqualifizierten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen angegangen wurden. Der Quartiersmanager wiederum beschränkt seine durchaus anerkennenswerten Aktivitäten auf den ihm gemäß Arbeitsauftrag zugewiesenen Ortsteil Volkmarsdorf und ist selbst auf den Forumssitzungen nur sporadisch – wenn es ganz konkret um dieses Wohngebiet geht – präsent. Organisations- und Unternehmensberatungsbüro sehen ihre Verantwortlichkeit ausschließlich in der Moderation der Forumssitzungen und die Bürgermoderatorinnen/-moderatoren begrenzen ihr Engagement ebenso auf die unmittelbare Arbeit in den Themen-Arbeitsgruppen, wer immer sich daran auch beteiligt bzw. dort nicht erscheint. Die sozialen Träger schließlich haben ihre jeweils eigenen Arbeitsschwerpunkte und verfolgen darüber hinaus vordergründig ihre Eigeninteressen hinsichtlich der finanziellen Absicherung ihrer Arbeit bzw. der Erschließung neuer „Pfründe“ im Rahmen der mit dem Förderprogramm „Soziale Stadt“ neu gegebenen Möglichkeiten. Insofern verfolgen sie den Stadtgebietsentwicklungsprozess im allgemeinen sowie das „Forum Leipziger Osten“ im besonderen primär unter diesen finanziellen bzw. förderungstechnischen Gesichtspunkten.
Etwa zeitgleich mit dieser studentischen Analyse kam das die Entwicklungen im Leipziger Osten wissenschaftlich begleitende Deutsche Institut für Urbanistik (difu) in Berlin zu ähnlichen Ergebnissen: Von Seiten der Kommunalverwaltung werden unter (sehr) engen zeitlichen Vorgaben, viele „steile Vorlagen“ gegeben, die selbst für die professionellen Akteure vor Ort mitunter kaum bzw. nicht erreichbar sind, geschweige denn für in ihrer Freizeit engagierte Bürgerinnen und Bürger. Entsprechend ist deren Beteiligung im Stadtentwicklungsprozess relativ gering und sollte daher mit neuen Formen der Partizipation forciert werden.
Derartige Erkenntnisse, zudem von zwei ganz unterschiedlichen Seiten festgehalten, könnten nun ja eigentlich zum Nachdenken über die bisherige Arbeitsweise in Bezug auf die Bürgerbeteiligung im Leipziger Osten führen. Nicht aber so bei dem dort etablierten Stadtteilmanagement. Mann und Frau geht stattdessen in die Offensive und dreht den Spieß ganz einfach um. In etwa so: das Programm „Soziale Stadt“ sei nun einmal ein Modell nach den Vorgaben „top down“ und von dem könne man somit auch gar keine Partizipation der Bürgerinnen und Bürger im Sinne von „bottom up“ erwarten. Außerdem sei es Aufgabe der örtlichen Sozialarbeit – und nicht des Stadtteilmanagements – für die Bürgerbeteiligung zu sorgen. Thema abgeharkt und erledigt – den Kritikerinnen und Kritikern der örtlichen Praxis jeden Boden entzogen!
Analyse der Machtverhältnisse
Von Saul D. Alinsky wissen wir, dass die Durchsetzung der Interessen von ökonomisch benachteiligten Bevölkerungsgruppen, der „Habenichtse“ um in seinem Sprachgebrauch zu bleiben, eine Frage der Macht bzw. der Veränderung von bestehenden Machtverhältnissen ist. Deshalb soll der im Leipziger Osten mit dem Programm „Soziale Stadt“ angestoßene Stadtgebietsentwicklungsprozess abschließend nochmals unter dieser Fragestellung näher analysiert werden. Sicherlich könnte auch diese Analyse kurz und bündig mit dem oben skizzierten Verfahren des Stadtteilmanagements abgetan werden, denn im Bund-Länder-Programm geht es ja beileibe nicht um veränderte Machtstrukturen oder gar um den Aufbau von konfliktfähigen Bürgerorganisationen, sondern vielmehr um die „Nutzung endogener Potenziale in den Stadtteilen“, „die Entsäulung der Verwaltung“, „die ressortübergreifende Zusammenarbeit“, „die Einbeziehung des Expertentums der lokalen Akteure“ oder wie alle ebenso blumigen wie nichtssagenden ministeriellen Formulierungen auch lauten möchten. Trotzdem lohnt sich eine etwas gründlichere Betrachtungsweise, denn diese kann vorhandene Spielräume, vergebene Chancen oder aber auch bewusst ausgeschaltete mögliche Machtfaktoren auf Seiten der Bürgerinnen und Bürger zu Tage fördern. Genau dies ist das Anliegen der nachfolgenden Ausführungen.
Das Programm „Soziale Stadt“ ist – da ist der Stadtteilmanagerin und dem Stadtteilmanager im Leipziger Osten in keiner Weise zu widersprechen – zweifelsohne ein Modell der Marke „top down“, oftmals noch verbunden mit der hohen Erwartung, in möglichst kurzer Zeit große Erfolge vorweisen zu können. Selbst die Geldgeber auf Bundesebene warnen mittlerweile vor der allerorts zu beobachtenden „Projekttitis“ und der Berliner Stadtforscher Hartmut Häußermann konstatiert nüchtern, dass in absoluter Verkennung der örtlichen Realitäten weite Bereiche der involvierten Programmgebiete in der „Sozialen Stadt“ mittels gezieltem Geldzufluss zu Stadtteilen entwickelt werden sollen, die sie niemals waren. Im westdeutschen Denkschema bedeutet dies in etwa, dem Sozialen Wohnungsbau der 70er Jahre mit seinen Großsiedlungen am Stadtrand den heimeligen Flair der Eigenheimsiedlung am anderen Ende der Stadt geben zu wollen.
Nicht anders erfolgte auch die Implementierung (und ich wähle diesen Begriff bewusst, denn er bedeutet das Einsetzen von etwas Körperfremden!) der „Sozialen Stadt“ im Leipziger Osten. Nur sollte man wissen, dass Leipzig als die Stadt der Bürgerbewegung in der damaligen DDR auf eine lange Tradition der Bürgervereine zurück blicken kann. Weit über 20 derartige Zusammenschlüsse ehrenamtlichen Bürgerengagements existieren auch heute noch stadtweit. Ein Teil dieser Bürgervereine arbeitet auf rein ehrenamtlicher Basis, andere wiederum fungieren auch als Träger der Sozialen Arbeit. Gemeinsam ist allen, dass sich hier engagierte Bürgerinnen und Bürger zusammen gefunden haben, um gemeinsam – und zuweilen auch in Konfrontation mit den kommunalen Behörden – die Lebensbedingungen in ihrem Wohngebiet mit zu gestalten, möglichen negativen Entwicklungstendenzen entgegen zu steuern und somit die Lebensqualität in ihrem sozialen Nahraum nachhaltig zu erhöhen. In Teilgebieten des Leipziger Ostens existieren ebenfalls derartige Initiativen. Was hätte also näher gelegen, als diese zu den primären Akteuren bei der beabsichtigten Stadtgebietsentwicklung zu machen? Oder war es doch die Angst vor der – sicherlich nicht ganz einfachen – Zähmung des widerspenstigen Borstigen, welche die Stadtverwaltung den Aufbau neuer, in ihrer Arbeitsweise von ihr vorbestimmten Organisationsstrukturen favorisieren ließ?
Während der studentischen Befragung der maßgeblichen Akteure bei der lokalen Umsetzung des Programms „Soziale Stadt“ wurde zunehmend deutlich, dass die Bürgerbeteiligung formal zwar angestrebt wird, aber diese ausschließlich in dem dafür amtlicherseits vorgegebenen Rahmen zu erfolgen hat. An der Entwicklung alternativer Strukturen, die möglicherweise zu einem größeren Bürgerengagement hätten führen können, zeigten die Protagonisten wenig bzw. kein Interesse. In diesem Zusammenhang sollte noch Erwähnung finden, dass das Amt für Stadtereneuerung und Wohnungsbauförderung nicht nur die eine Stadtteilmanagerin stellt, sondern in Form der Amtsleitung das gesamte Stadtteilmanagement „steuert“.
Eine Moderatorin moderiert und ein Moderator tut das Gleiche, denn für dies werden beide schließlich ja auch aus den staatlichen Fördertöpfen bezahlt. Auf diese einfache Formel lassen sich die Diskussionen – sofern es sie überhaupt gab – auf den verschiedenen Forumssitzungen reduzieren. Das „Forum Leipziger Osten“, durch seinen für die Verwaltung lediglich empfehlenden Charakter und der noch darüber hinaus gehenden Vorfilterfunktion des Stadtteilmanagements (Anträge und Vorhaben der Themen-AG’s oder anderer Arbeitskreise werden hier ob ihrer Förderungsfähigkeit/-würdigkeit vorgeprüft) ohnehin ein „zahnloser Tiger“, verliert durch diese Leitungsvorgabe vollends an Bedeutung. An zwei Beispielen sei dies nachfolgend verdeutlicht.
Die Themen-Arbeitsgruppe „Image und Öffentlichkeitsarbeit“ hatte mit viel Aufwand und Energie eine Forumssitzung zu ihrem Thema vorbereitet, einen Ideenwettbewerb für ein Logo sowie einen Slogan für den Leipziger Osten („dort geht die Sonne auf“) durchgeführt und einen Werbefachmann für einen Vortrag auf dem Forum gewonnen. Im Ergebnis sollte dies zum Start einer Imagekampagne für das gesamte Programmgebiet führen. So etwas kostet jedoch Geld und dieses nicht zu wenig, wie der Werbefachmann sicherlich nicht ohne ein gewisses Eigeninteresse die Forumsbesucherinnen und -besucher wissen ließ. Das Forum konnte sich anschließend zwar nahezu einstimmig für ein derartiges Vorhaben aussprechen, doch in der Stadtverwaltung gab es hierfür kein Geld. Folge: Die personelle Mitarbeit in der Themenarbeitsgruppe „Image und Öffentlichkeitsarbeit“ schrumpfte auf ein Minimum. Wen wundert’s?
Ein zweites Beispiel führt unter den Gesichtspunkten des Community Organizing zu ungleich größerem Unwohlsein. Auf Grund angeblich rückläufiger Schülerzahlen, was aber in anderen Stadtbezirken Leipzigs keineswegs anders ist, sollte das einzige im Programmgebiet noch verbliebene Gymnasium nach Vorgabe des kommunalen Schuldezernenten zum nächsten Schuljahresbeginn geschlossen werden. Die Schülerinnen und Schüler des zum Stadtteil hin sehr geöffneten Felix-Klein-Gymnasiums sowie ihre Lehrerinnen und Lehrer erhielten – bezeichnenderweise wiederum zum Ende einer Forumssitzung – die Gelegenheit, auf diese Problematik mit all ihren negativen Konsequenzen für den Stadtbezirk (z.B. Wegzug der Familien mit schulpflichtigen Kindern) aufmerksam zu machen. Alle Bemühungen um eine nachhaltige Aufwertung des Wohngebietes würden mit diesem Schließungsbeschluss konterkariert. Erst nach hartnäckigem Drängen einzelner Forumsteilnehmerinnen und -teilnehmer sah sich die Moderatorin schließlich gezwungen, eine Empfehlung des Auditoriums an die Stadtmütter und -väter zum Erhalt dieses Gymnasialstandortes anzunehmen. Und damit hatte sich die ganze Sache erst einmal erledigt – bis zur nächsten Forumssitzung wenige Tage vor der entscheidenden Stadtratssitzung. Das Thema stand nun weiter vorne auf der Tagesordnung und das örtliche Schulamt hatte sogar einen allerdings nachgeordneten Mitarbeiter entsandt, der den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des „Forums Leipziger Osten“ hinsichtlich der beabsichtigten Schulschließung nun Rede und Antwort stehen sollte. Dies konnte selbstverständlich nur zu sehr unbefriedigenden Ergebnissen führen und drei Tage später beschloss der Stadtrat von protestierenden Eltern aus dem Leipziger Osten weitgehend unbehelligt tatsächlich die Schließung des Felix-Klein-Gymnasiums. Was wäre hier nicht alles möglich gewesen, hätte man die Empörung und Verärgerung der Eltern wirklich aufgegriffen und in ein strategisches Handeln geleitet! Aber das ist ja schließlich nicht die Aufgabe einer Moderatorin.
Auf ein letztes, allerdings bislang rein hypothetisches Problem sei hier am Ende der Überlegungen ebenfalls hingewiesen. Gesetzt den Fall, das „Forum Leipziger Osten“ erhielte tatsächlich zu irgendeinem Zeitpunkt weitergehende Entscheidungsbefugnisse als beispielsweise über den Slogan für den Stadtbezirk abzustimmen, welche demokratische Legitimation hätte es denn? Nicht nur die bis zu 80 Prozent „Ortsfremden“, sondern auch die zufälligen Mehrheiten – heute z.B. die Jugendlichen, wenn es um ihren Jugendtreff geht und bei der nächsten Forumssitzung vielleicht die Seniorinnen und Senioren, weil es sich um deren Ruhebedürfnis im gleichen Straßenzug handelt – würden dann ein noch zu lösendes Problem darstellen. Und wie verhält es sich mit der Konkurrenzsituation zu den gewählten kommunalpolitischen Gremien auf Stadtbezirksebene? Diese eher verwaltungstechnisch zugeschnittenen, zum Teil aber auch historisch gewachsenen Sozialräume bewegen sich innerhalb ganz anderer räumlicher Ausdehnungen als die qua Förderrichtlinie festgesetzten Grenzen des Programmgebietes „Soziale Stadt“. Bislang arbeiten Stadtbezirksbeirat und „Forum Leipziger Osten“ weitgehend isoliert nebeneinander. Gemeinsam ist beiden die geringe Bürgerbeteiligung und vorallem das Nicht-Infragestellen der etablierten Machtstrukturen. Aber erwartet man da von ministeriellen Förderprogrammen bzw. kommunalpolitischen Mandatsträgerinnen und -träger vielleicht nicht auch zu viel?