Abschluss-Statement und Reflexionen zur Tagung Bürgerbeteiligung (Hannover, 11/2005)

von Paul Cromwell, 2004 – Pfarrer und Community Organizer aus Jacksonville/ Florida, der sich derzeit auf Einladung von foco e.V. (Forum Community Organizing) in Deutschland aufhält.

1. Einleitung

Ich möchte Wolfgang Prauser dafür danken, dass er mich zu dieser Tagung eingeladen hat. Ich habe eine Menge gelernt und habe einige wundervolle Menschen kennengelernt.

Drei  Faktoren haben meine Beobachtungen auf dieser Tagung geprägt:

Erstens meine 25 jährige Berufserfahrung als Community Organizier in den USA.
Zweitens: Während der letzten 4 Monate habe ich viele Personen in ganz Deutschland besucht, die in Gemeinwesenarbeit oder in anderen Formen von BürgerInnenbeteiligung engagiert sind.
Und schließlich : Dabei habe ich begriffen, dass  in Deutschland sowohl eine zunehmende soziale Herausforderung (zunehmende Arbeitslosigkeit, Kürzungen der staatlichen Zuschüsse etc..) heranwächst als auch das Gefühl zunimmt, dass die politischen Parteien und andere traditionelle Gruppen nicht wirklich die Interessen von einkommensschwachen Personengruppen in Deutschland repräsentieren.

2. Beobachtungen:

A. Es ist schwierig Bürgerbeteiligung von der Auseinandersetzung mit dem Thema „Macht“ zu trennen

Nach meinen Erfahrungen ist es für mich sehr schwer die Frage von Bürgerbeteiligung zu trennen von der Auseinandersetzung mit “Macht“. Zum Beispiel sagen die Leute in den USA oft, dass Leute sich nicht engagieren, weil sie so apathisch seien und meinen damit , dass es ihnen egal sei. Aber ich habe meist herausgefunden, dass die Leute sich sehr wohl interessieren und engagieren für ihre Familien, ihre Nachbarschaft und ihre Stadt. Sie engagieren sich nicht, weil sie sich so machtlos fühlen. Sie haben das Gefühl, dass sie die Regierung oder das Wirtschaftssystem, das, was ihr Leben wirklich bestimmt, doch  nicht verändern können.

Bei dieser Tagung habe ich mit vielen Leuten gesprochen die sagen, dass die von der Regierung initiierten und finanzierten Programme zur Stärkung von Bürgerbeteiligung oft oberflächlich angelegt seien. Mir scheint es, dass die Regierung eher Ratschläge zur Lösung von bestimmten Problemen in der Nachbarschaft möchte; aber dass es keine rechte Bereitschaft gibt Entscheidungs-Macht über wichtige Entscheidungen zu „teilen“ bzw. abzugeben. Dies  führt zu meiner 2. Beobachtung:

B. Unabhängige Finanzierung für größere, effektvollere BürgerInnenbeteiligung

Ich möchte Sie/Euch gerne dazu ermutigen über neue Wege nachzudenken um auch eigenes Geld zu beschaffen, dass machtvolle Bürgerbeteiligung und den Aufbau von Nachbarschafts-(Selbst)Organisation (Community Organizing) finanzieren und unterstützen könnte. Unabhängiges Geld ist Geld, das nicht bestoppt werden kann, wenn die BürgerInnen  Dinge fordern, die die Regierenden so nicht wollten . Ich habe in diesen Tagen Leute gehört, die Gemeinwesenarbeit/ Sozialarbeit / Quartiersmanagement machen und 2 Dinge sagen:

– Ich habe Aufgaben in meinem Kontrakt, die es mir nicht erlauben mir  wirklich Zeit zu nehmen um zu hören, was aus Sicht der Leute wichtig und notwendig ist und um sie zu organisieren/ zu unterstützen, damit sie sich selber für wirkungsvolle Veränderungen einsetzen können:

Und/ oder:
– Wenn meine Organisation wirklich dazu beitragen würde, dass BürgerInnen selbstorganisiert Änderungen einfordern würden, dann müßte ich befürchten,  dass Gelder gestrichen werden würden.

Die Frage ist, wo dieses unabhängige Geld herkommen könnte? Ihr kennt Euch in den deutschen Finanzierungs-Operationen besser aus als ich, aber laßt mich nur ein paar Möglichkeiten aufzeigen:
– Erstens: Neulich war ich in Wuppertal und ich lernte, dass die Diakonie dort 340 Menschen beschäftigt. Wenn die nur einen von diesen Mitarbeitenden als „Community OrganizerIn beschäftigen würden, könnte schon viel passieren.
– Zweitens: Vielleicht könnten ja auch verschiedene Anbieter von Sozialen Diensten (wie Diakonie und Caritas) gemeinsam bei der Regierung einfordern, dass es eine Stiftung gäbe, die, vergleichbar zu den Stiftungen der politischen Parteien wäre. Diese könnte dann Leute einstellen, deren Fulltime-Job es wäre, Menschen zu demokratischer BürgerInnen-Beteiligung zu organisieren.  Ich bin zuversichtlich, dass, wenn Ihr Euch diesbezüglich zu einen Brainstorming zusammensetzen würdet, Ihr eine Menge anderer Möglichkeiten und Quellen für zusätzliche Gelder ausfindig machen könntet.

C. Eigeninteressen und Beziehungen als der Schlüssel zu Bürgerbeteiligung

Ich habe gehört, wie viele verschiedene Strategien und Techniken der BürgerInnenbeteiligung auf dieser Tagung diskutiert wurden.  Nach meiner Erfahrung ist das Wichtigste das wirkliche Hören auf die Eigeninteressen der Menschen und der Aufbau von vertrauensvollen und respektvollen Beziehungen zu ihnen. Zum Beispiel hat es in Jacksonville/ Florida, wo ich für die letzten 9 Jahre gearbeitet habe, 18 Monate gedauert, um eine machtvolle BürgerInnen-Organisation aufzubauen, die stark genug war, dass sowohl der Bürgermeister, der Polizei Chef und der Schulrat wesentliche Verbesserungen umsetzte, die von den BürgerInnen vorgeschlagen worden waren (u.a. infrastrukturelle (Verkehrs-) Verbesserungen, neue Polizei-Konzepte sowie Reformen im Schulwesen.)

Meine wesentlichste Aufgabe in diesen 18 Monaten war es selber ca. 400 Face-to Face-Einzelgespräche/ Besuche zu machen und dann ca. 200 Freiwillige darin zu trainieren, so dass sie selber 1200 Besuche in ihrer Nachbarschaft machen konnten. Ziel dieser Besuche war es, den Menschen zuzuhören, ihre Eigeninteressen und ihre Visionen für ihre Nachbarschaft zu erfahren. Gleichzeitig ging es darum Beziehungen aufzubauen, die geprägt sind von Vertrauen und Respekt und Bereitschaft  gemeinsam für diese Nachbarschaft tätig zu werden. Dies ist, glaube ich, eine harte aber auch eine sehr lohnende Arbeit auf dem Weg zur erfolgreichen Bürgerbeteiligung.